Zur Diskussionsreihe „Demokratie im Würgegriff der Finanzmärkte?“ der Frankfurter Bürger-Universität
Am 12. November 2012 startete die Diskussionsreihe der Goethe-Universität Frankfurt mit dem Thema „Am Scheideweg“. Als Veranstaltungsort wurde das Holzfoyer im Schauspielhaus Frankfurt gewählt, ein Raum, der wenig Platz für Interessierte bietet. Dementsprechend saßen viele Menschen auf den Boden oder mussten stehen, die angebotenen Stühle reichten bei weitem nicht aus. Die Veranstalter rechneten wohl nicht mit so viel Resonanz, sie hatten diese Veranstaltung schließlich auch nicht übermäßig publik gemacht. Auch am Eingang des Schauspielhauses fand sich kein Hinweis darauf, dass an diesem Abend diese Veranstaltung dort stattfinden sollte. Die Bürger mussten schon selbst wissen, wo sie suchen mussten, um Informationen zu bekommen. Deshalb folgen nun zunächst die Links zu den Internetseiten, auf denen man sich über die Diskussionsreihe informieren kann:
Bürger-Universität Stadt Frankfurt occupy Frankfurt
Dabei sollte man aber nicht erwarten, dass die im Programm genannten Diskutanten tatsächlich anwesend sind, kurzfristige Änderungen sind wahrscheinlich, wie man schon bei der ersten Veranstaltung der Diskussionsreihe feststellen konnte. Um 19.30 sollte die Podiumsdiskussion beginnen, allerdings trat eine Verzögerung ein, weil Peter Feldmann, der Oberbürgermeister von Frankfurt, verspätet eintraf. Auf dem erhöhten Podium hatten die übrigen zur Podiumsdiskussion geladenen Gäste schon ihre Plätze eingenommen:
● Christoph Deutschmann (Soziologe)
● Erik Buhn (Occupy-Sprecher)
● Andreas Platthaus (F.A.Z., Feuilleton), der anstelle von Frank Schirrmacher erschienen war
● Reinhard H. Schmidt (Wirtschaftswissenschaftler)
● Manfred Köhler (F.A.Z., Rhein-Main-Zeitung), der die Diskussion moderierte
Nachdem Feldmann diese begrüßt hatte, eröffnete er die Podiumsdiskussion mit einem langen Monolog, der inhaltlich nicht weiterführend war, den er aber gekonnt von seinen mitgebrachten Papieren ablas. Daraufhin folgte ein langwieriger Vortrag von Platthaus, ebenfalls abgelesen. Zum ersten Mal wurde währenddessen eine Stimme aus dem Publikum vernommen, die darum bat, diese Ansprache zu beenden. So war die erste halbe Stunde schon vergangen, ohne dass auch nur eine einzige Frage gestellt wurde. Als nächstes ergriff Köhler das Wort, der nach einer kurzen Rede begann, seine Fragen zu stellen. Dass diese am Thema vorbeigingen und keine konkreten Kritikpunkte der derzeitigen Diskussion ansprachen, war zu erwarten gewesen. Feldmann leierte souverän seine vermutlich schon im Vorfeld auswendig gelernten Antworten herunter, sowohl er als auch die meisten anderen Diskutanten verstanden es meisterhaft, so um die momentan herrschende Problematik herumzureden und sich in theoretischen Konstrukten zu ergehen. Nur Deutschmann und Buhn versuchten ansatzweise, die ihnen gestellten Fragen zufriedenstellend zu beantworten. Mit seichten Fragen sowie fehlendem Nachhaken an den passenden Stellen schaffte Köhler es, die nächste Stunde zu füllen. Bevor auch nur eine einzige Frage aus dem Publikum gestellt werden konnte, verabschiedete sich Feldmann, um einen anderen Termin wahrzunehmen. Statt sich den Fragen der Menschen zu stellen, führte er ein einstudiertes Programm auf und verließ dann fluchtartig das Foyer. Keine zwei Minuten später durften dann endlich die geduldigen Zuhörer aufzeigen, in der Hoffnung, eine Frage an die so genannten Experten richten zu dürfen. Wie sich die Verantwortlichen den Ablauf dieser Fragerunde vorstellten, zeigte sich schon bei dem ersten Menschen, der ans Mikrofon trat. Dieser kündigte an, dass er zwei Anmerkungen machen und drei Fragen stellen wolle. Obwohl er darauf hingewiesen hatte, sich kurz fassen zu wollen, wurde er schon nach einer Minute unterbrochen und gedrängt, sich zu beeilen. Als er seinen Beitrag beenden wollte, wurde er noch mehrmals von den Verantwortlichen unterbrochen, dabei hatte er keine fünf Minuten Redezeit. Im Gegensatz dazu durfte Schmidt bei einer seiner Antworten sogar berichten, dass er am Lago Maggiore Kaffee getrunken hatte, ein für die Diskussion völlig sinnloser Beitrag. So wurde das Publikum schon darauf eingestimmt, was es bei einer Fragestellung zu erwarten hatte. Zudem wurde nur den Leuten das Wort erteilt, die sich vom Podium aus gesehen rechts befanden, die andere Seite wurde völlig ignoriert, obwohl es dort ebenfalls einige Meldungen gab. Schon nach der dritten Publikumsfrage wies Köhler darauf hin, dass es nun bald an der Zeit sei, die Veranstaltung zu beenden. Da die Diskutanten aber sowieso jeder konkreten Antwort auswichen, wäre der Ertrag wahrscheinlich auch nicht größer gewesen, wenn mehr als die paar Leute, die dann noch ins Mikrofon sprechen durften, zu Wort gekommen wären. Von einer echten Diskussion war diese Veranstaltung jedenfalls meilenweit entfernt, der Ort war schon passend gewählt: das Ereignis war ein Schauspiel, interessierte Menschen, die sich einbringen wollten, lediglich Zuschauer. Auf die gestellten Fragen wurde nicht eingegangen, einige Äußerungen wurden schlichtweg ignoriert. Genau deshalb muss es bei solchen Veranstaltungen einen unabhängigen Moderator geben, einen, der kritische Rückfragen stellt und darauf beharrt, dass vom Publikum gestellte Fragen beantwortet werden!
Die Veranstaltung, die die Demokratie zum Inhalt hat, lief völlig undemokratisch ab. Wer den Ablauf bestimmte, war schon an der Sitzordnung klar ersichtlich: die geladenen Diskutanten saßen erhöht auf dem Podium, hatten reichlich Platz und konnten auf das Publikum herabsehen, zahlreiche Menschen mussten sogar auf dem Boden sitzen; ein Spiegelbild der Gesamtgesellschaft. Der Witz des Abends kam von dem Wirtschaftswissenschaftler Schmidt, der diese Farce als „herrschaftsfreie Diskussion“ bezeichnete. Kritische Stimmen zum Ablauf wurden ignoriert, sie waren keiner Antwort würdig. Auf konkrete Fragen folgte sinnentleertes Gerede, das Bedürfnis nach einem Gedankenaustausch würgten die Veranstalter rigoros ab. Wichtige Themen, wie der ESM, das Leid der Menschen und ihre Ängste, wurden gar nicht erst angesprochen, die Diskutanten versuchten, mit möglichst langen Antworten, die am Thema vorbeigingen, die Zeit totzuschlagen. So kann keine echte Diskussion entstehen!
Pünktlich zum Auftakt der Diskussionsreihe waren die kümmerlichen Reste des Occupy-Camps verschwunden, es scheint fast, als sei die ganze Posse nur inszeniert worden, um den Menschen den Eindruck zu vermitteln, dass sich die Stadt Frankfurt für ihre Belange interessiere. Sie ist das Opium fürs Volk, das die Engagierten davon abhalten soll, aufzubegehren und Aktionen zu planen. Geduldig ließen sich die Menschen in diese Inszenierung einbinden, anstatt gemeinsam aufzustehen und zu sagen:
„Wir lassen uns das nicht länger bieten! Wir wollen, dass unsere Fragen beantwortet werden, wir fordern eine Partizipation an der Diskussion! Wir sind das Volk, wir bluten für eure Krise, wir wollen angehört werden! Wir verlangen, dass wir angehört werden! Wir lassen uns nicht länger für dumm verkaufen!“
Deshalb müssen wir uns solidarisieren und Netzwerke schaffen, beraten, was zu tun ist, um dieses System der Heuchelei zu durchbrechen. Wir müssen uns auf diese Veranstaltungen vorbereiten, gemeinsam überlegen, wie wir reagieren, wenn uns aufs Neue Floskeln, Platitüden, Banalitäten oder Fachchinesisch entgegengeschleudert werden. Unsere passive Haltung müssen wir endlich überwinden! Wir müssen aktiv werden, unsere Stimmen müssen den Raum erfüllen, um Gerechtigkeit zu erfahren. Das Vorbereiten von Fragen und die Antizipation möglicher Antworten sind unsere Waffen. Wir müssen uns von unseren Plätzen erheben und uns Gehör verschaffen, geschlossen auf die zugehen, die denken, sie könnten uns für dumm verkaufen. Gemeinsam können wir laut sein, gemeinsam sind wir stark! Wir müssen unser Recht einfordern, denn es wird uns nicht geschenkt! Lasst uns bei der nächsten Diskussionsrunde aufstehen und Forderungen stellen; wir wollen keine Vorträge hören, wir wollen Antwort auf unsere Fragen, wir verlangen eine gleichberechtigte Diskussion! Wir brauchen keinen Moderator, höchstens einen Gesprächsbeobachter, der sich die Reihenfolge der Meldungen notiert und darauf achtet, dass jeder eine bestimmte Redezeit erhält. Lasst uns unsere Zukunft selbst gestalten, statt sie in die Hände solch inkompetenter „Experten“ zu legen! Wir allein tragen die Verantwortung dafür, wie sich diese Welt entwickelt; deshalb müssen wir eine Einheit bilden! Wenn ihr wie wir für einen Zusammenschluss seid, wenn ihr genug davon habt, durch die Machthabenden unterdrückt zu werden, wenn ihr für eine sichere Zukunft das bestehende System überwinden und Zuversicht erlangen wollt, eine gerechte, kooperativ herbeisehnt, dann verbindet euch mit uns! Nehmt Kontakt mit uns auf; wir antworten auf alle Nachrichten. Wir sind offen für neue Ideen, die dazu beitragen können, diese Welt ein bisschen besser zu machen. Einen echten Austausch, echte Diskussionen ist das, was wir wollen, um gemeinsam einen Ausweg aus der bestehenden Krise zu finden. Respekt ist der Schlüssel dazu, Respekt und Mut. Wir selbst sind für unser Schicksal verantwortlich, lasst es euch nicht länger aus der Hand nehmen!
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Taoistattack (Donnerstag, 15 November 2012 14:52)
HI Leute, wenn ihr in einer besseren Welt leben wollt, dann sollte sie doch auch fair sein? ODer nicht? Und würde das nicht auch mit fairer Berichterstattung anfangen? Denn euer Bericht ist ganz schön unfair - daher würde ich es echt gut finden wenn ihr differenziert schreiben würdet - hoffe auf besserung - da der Artikel nur polemisch und unfair ist - da habt ihr ja alles als negativ aufgezählt was auch nur irgendwie verwendet werden konnte - da seind ihr nicht besser wie die "Freie Presse"
Grüße Jan
Friendofearth (Donnerstag, 15 November 2012 18:13)
Ich muss meinem Vorredner Recht geben: Der Beitrag ist eine Zumutung und wird der Veranstaltung und ihrem Verlauf in keiner Weise gerecht. Hier haben sich wieder einmal die Selbstgerechten aller Länder abgearbeitet. Ich kann wirklich nicht erkennen, welchen Mehrwert eine solch sinnfreie Fundamentalkritik haben soll!
Xaquaira (Donnerstag, 15 November 2012 19:42)
Hallo Taoistattack und friendofearth,
zunächst einmal möchten wir uns für das entgegengebrachte Interesse und euer Feedback zum Artikel bedanken. Wir nehmen uns sowohl positive als auch negative Kritik zu Herzen. Bei der Veranstaltung waren wir persönlich anwesend, anschließend haben wir uns in einer fairen, aber vor allem ehrlichen Berichtserstattung versucht. Da ihr offensichtlich eine andere Meinung zu der Podiumsdiskussion vertretet als wir, möchten wir gerne wissen, in welchen Punkten ihr nicht mit uns übereinstimmt, da ihr die Diskussion sicherlich auch persönlich verfolgt oder zumindest auf Video gesehen habt. Für uns war diese Veranstaltung leider eine Enttäuschung, wir hatten eine darauf gehofft, dass dort ernsthaft diskutiert wird und auch das Publikum sich einbringen kann. Doch schon bevor die erste Frage aus dem Publikum kam, wies Köhler auf die schon weit fortgeschrittene Zeit hin. Den Vorwurf der Polemik können wir nicht ganz nachvollziehen, da wir niemanden persönlich angreifen, sondern lediglich die Art und Weise des Ablaufs in Frage stellen. Auch die Zuschauer, die zu Wort kamen, äußerten sich kritisch darüber, einer bekundete seine Enttäuschung bezüglich der Moderation, ein anderer bezeichnete die Veranstaltung gar als Märchenstunde. Als ehrliche Berichterstatter sehen wir uns in der Verantwortung, auch das Meinungsbild des Publikums mit einzubeziehen. Dieses wünschte sich eine offene Diskussion und war unserer Ansicht nach teilweise besser informiert als die Diskutanten, es wurde z.B. kritisiert, dass die Institutionalisierung des „Würgegriffs“, der ESM, keiner Erwähnung wert war. Auf die Frage aus dem Zuschauerraum, ob denn nicht ein bleibendes Bürgerforum eingerichtet werden könnte, verwies der Moderator auf die laufende Veranstaltung, die jedoch zeitlich begrenzt ist.
Ein großes Lob möchten wir an dieser Stelle der Goethe-Universität, Veranstalter der Diskussionsreihe, aussprechen, die sich darum bemüht hat, für die nächste Veranstaltung eine angemessene Räumlichkeit zu finden und dafür einen ihrer Hörsäle zur Verfügung stellt. Den Link zu unserem Artikel haben wir dieser Institution übrigens auch gesendet und folgende Antwort von Sina Weinhold (Abteilung Marketing und Kommunikation) erhalten:
Hallo und vielen Dank für Ihre Rückmeldung.
Wir waren vom Ansturm gestern selber – positiv – überrascht. Natürlich ist es uns wichtig, dass das Publikum ausreichend Zeit zur Diskussion bekommt. Wir werden dies in den kommenden Veranstaltungen beachten.
Freundlichen Gruß
Sina Weinhold
Wir hoffen, von euch noch eine konkrete Kritik zu erhalten, gerne könnt ihr eure Sicht der Dinge auch in einem Gastbeitrag auf unserer Seite veröffentlichen. Denn wir wünschen uns eine offene Diskussion, keine einseitige Darstellung, alle Standpunkte werden bei uns respektiert.
Viele Grüße
unsereBewegung
friendofearth (Donnerstag, 15 November 2012 20:56)
Hallo,
ich freue mich, dass Ihr unsere Kritik ernst nehmt. Erst auf diese Weise wird ein richtiger Dialog möglich.
Ich sehe es so: Wenn ein neues Format erstmals gestartet wird und wenn man unterstellt, dass die Verantwortlichen ein ernsthaftes Interesse daran haben, die dringend nötige Debatte voranzubringen, dann sollte man nicht nur auf die Fehler, sondern auf die Möglichkeiten schauen. Es ist gut, dass die Uni so schnell reagiert und die Raumsituation entschärft und insgesamt der Diskussion mehr Raum geben will. Ich vermute, dass dort auch Leute sitzen, die selbstkritisch über ihre Veranstaltungen nachdenken und diese weiter verbessern wollen, wie die Reaktion zeigt.
Grüße
Friendofearth
unsere-bewegung (Samstag, 17 November 2012 23:32)
Damit sich jeder selbst einen Eindruck von der Veranstaltung machen kann, haben wir den Link zum Video unter den Artikel gestellt.
LG unsereBewegung
kalanoro (Sonntag, 18 November 2012 22:54)
aloha!
wir wollten noch unbedingt darauf hinweisen, dass das projekt von taoistattack und seinen mitschreibern absolut empfehlenswert ist! ein wertvoller und lesenswerter ansatzpunkt, eine eigene form des protests...schaut da unbedingt mal rein ;)
http://planetofthecrazyapes.org/wordpress/?page_id=6
viele grüße
kalanoro vom unsere-bewegung-team