Wissenschaft als Krisenhelfer – Muss Forschung Politik und Öffentlichkeit mehr Orientierung geben? Veranstaltung der Frankfurter Bürger-Universität am 14.01.2013
…und die zu Wort kommen zu lassen, die wirklich etwas zu sagen haben.
Dieses Motto sollten sich die Veranstalter der Diskussionsreihe der Frankfurter Bürger-Uni zu Herzen nehmen. Obwohl den teilnehmenden Bürgern inzwischen ein klein wenig mehr Zeit für ihre Fragen eingeräumt wurde, ist es doch großteils so, als würde man zuhause vor der Glotze sitzen. Zwischenfragen sind während der ersten eineinhalb Stunden unerwünscht, danach dürfen die Zuschauer zwar Fragen – aber bitte kurze – stellen, die Antworten der Diskutanten fallen allerdings stets so ausführlich aus, dass nur wenige Bürger sich äußern können. Die Antworten sind zudem meistens sehr ausschweifend, viele gehen an der Fragestellung vorbei oder enthalten geschönte Wahrheiten. Einige Sachverhalte wurden sogar – absichtlich – verdreht. Wer indessen so unverschämt ist, eine unbequeme Frage an einen der Diskutanten zu richten, darf nicht mit einer Antwort rechnen. Die Veranstaltung „Wissenschaft als Krisenhelfer – Muss Forschung Politik und Öffentlichkeit mehr Orientierung geben?“ begann einmal mehr mit einem langwierigen Vortrag mit längst bekannten Inhalten. Gehalten wurde er von Karlheinz Weimar, dem ehemaligen Hessischen Finanzminister. Zunächst erklärte er, dass Wissenschaftler als politische Berater fungieren sollten, um Antworten auf Fragen zu geben, die aufkommen, weil bei Politikern Unsicherheiten bestehen, da sie auf vielen Gebieten keine Experten sind, und damit sich unsere Volksvertreter auf diese zwecks Legitimation berufen können. Weiter ging es mit Weimars Behauptung, dass die Befragung von Experten unabdingbar sei, da die Bürger mit ihrem gesunden Menschenverstand nicht dazu in der Lage seien, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Der ehemalige Hessische Finanzminister wies darauf hin, dass eine Win-Win-Situation entstehe, wenn Experten der Wissenschaft als politische Berater fungierten und im Gegenzug dafür Aufträge mit den dazugehörigen Forschungsgelder erhielten. Er salbaderte über regenerative Energien und stellte dabei die Behauptung auf, dass die Menschen nicht dazu bereit wären, höhere Strompreise um der Umwelt willen zu bezahlen. Dabei vergaß er zu erwähnen, dass die Strompreise gar nicht so immens steigen würden, wenn die Großkonzerne Strompreissenkungen an die Kunden weitergeben würden. Mit einem kurzen Satz erklärte er, dass er die in Deutschland im Rahmen der Finanzkrise getroffenen Entscheidungen allesamt für richtig halte. Kurzum, auf die Frage, ob Forschung Politik und Öffentlichkeit mehr Orientierung geben muss, lieferte der Vortrag keine Antwort. Anschließend startete die altbekannte Podiums-Fragerunde, bei der die anwesenden Bürger wie immer außen vor blieben. Der Wirtschaftswissenschaftler Andreas Hackethal brachte dabei zum Ausdruck, dass er die Lehre und Forschung als Aufgaben der Wissenschaft sehe, nicht aber die Beratung. Durch Grundlagenforschung solle jene zum Selbstdenken animieren, dabei wies er darauf hin, dass Wissenschaftler vermehrt Bilder nutzen sollten, um die Komplexität ihrer Theorien zu vereinfachen. Selbstverständlich hatte er auch gleich noch ein paar Beispiele mitgebracht. So wurde sich wieder einmal mit Nebensächlichkeiten aufgehalten, statt die Diskussion auf den Punkt zu bringen. Der Soziologe Tilmann Allert hatte als letzter der Diskutanten das Wort. Dabei verwies er auf die dem Wissenschaftler inhärente Neugier, die der einzig ausschlaggebende Aspekt für dessen Forschungen sei. Demgegenüber stellte er die Politiker, denen er ein dilettantisches Handeln zugestand, denn seiner Meinung nach macht ein legitimer Dilettantismus politisches Handeln aus. Es wäre schön, wenn wenigstens das Publikum kritische Rückfragen hätte stellen dürfen, wenn es schon der Moderator nicht tut.
Die erste Frage aus dem Publikum richtete sich an Weimar. Der fragende Bürger wies dabei auch auf Island hin, das ganz anders mit der Finanzkrise umgeht als die EU. Die Antwort von Weimar lässt nur zwei Vermutungen zu: Entweder hat er keine Ahnung von den Ereignissen in Island oder er hat absichtlich Tatsachen verdreht dargestellt. Sein kurzer, inhaltsleerer Kommentar lautete: „In Island sind die Banken zusammengebrochen.“ Lieber Hr. Weimar, falls sie es nicht mitbekommen haben: rund um den Erdball sind Banken zusammengebrochen. Aber Island geht anders damit um als die anderen Ländern, es lässt nicht sein Volk bluten, indem es den Verlust der Banken über Steuergelder finanziert, nein ganz im Gegenteil, es beteiligt die Bürger an elementaren Entscheidungen. Auf der Feuerinsel traut man den Menschen also offensichtlich zu, richtige Entscheidungen auf Grund ihres gesunden Menschenverstands zu treffen. Und diese Entscheidungen waren weitaus besser als die der Möchtegern-Experten und selbstdarstellerischen Politiker der EU. Als ein Bürger die gegenwärtige Situation an deutschen Universitäten, insbesondere an der Goethe-Universität in Frankfurt ansprach, an denen nach den Ereignissen immer noch der klassische Neoliberalismus gelehrt wird, obwohl die Realität inzwischen eindrucksvoll bewiesen, hat, dass diese Theorie schlichtweg falsch ist und mehr Vielfalt für die Lehre forderte, erklärte Hackethal, dass die einzustellenden Professoren maßgeblich an Hand ihrer Publikationen in „Journals“ (im Deutschen heißt das übrigens Fachzeitschriften) ausgewählt würden. Doch auch Wirtschaftswissenschaftler, die anderen Theorien anhängen, veröffentlichen – werden aber bei Einstellungen trotzdem nicht berücksichtigt. Dazu merkte er noch an, dass während eines Studiengangs ja gar nicht die Zeit bliebe, unterschiedliche Theorien zu vermitteln; ferner ist seiner Meinung nach die neoliberalistische Lehre die am besten geeignete. Den Einwurf von Erik Buhn, der bei der Auftaktveranstaltung selbst auf dem Podium gesessen hatte, dass man doch die Studienzeit verlängern könnte, tat er mit dem Hinweis ab, dass dafür kein Geld vorhanden sei. Der pure Hohn: Erst vor wenigen Jahren wurde die Studienzeit verkürzt, als die Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt wurden, angeblich, damit die Studenten im internationalen Wettbewerb bestehen können, da die Ausbildungszeit in anderen Ländern auch kürzer ist. In Wirklichkeit waren wohl eher die finanziellen Interessen unserer Volksvertreter ausschlaggebend, ebenso wie bei der Umstellung des gymnasialen Bildungsgangs von G9 (13 Schuljahre bis zum Abitur) auf G8 (12 Jahre bis zum Abitur), die übrigens ein Schlag ins Wasser war, inzwischen kehren die meisten hessischen Schulen zu G9 zurück, da die verkürzte Schulzeit nichts als Probleme und Unzufriedenheit – auf Seiten von Schülern, Eltern und Lehrern – mit sich brachte. Die Hoffnungen des Landes Hessen, einen ganzen Jahrgang an Personal einzusparen, haben sich letztendlich also doch nicht erfüllt. Zudem ist es ja wohl ein Witz, dass unzählige Milliarden in marode Banken gepumpt werden, um sie vor ihrem selbstverschuldeten Zusammenbruch zu retten, während für die Bildung, die Zukunft unserer Kinder und unseres Landes, kein Geld übrig ist. Nebenbei machte Hackethal noch eifrig Werbung für das House of Finance, das 2008 in Frankfurt eröffnet wurde und von vielen Seiten stark kritisiert wird, da es zum großen Teil über Drittmittel finanziert wird, die von Unternehmen stammen. Die Hörsäle tragen die Namen großer Banken, Werbesymbole prägen das Innere des Gebäudes. Die Behauptung, dass die Lehre und Forschung dort dennoch frei seien, erscheint vor diesem Hintergrund mehr als unglaubwürdig. Hackethal selbst wird von der DZ BANK-Stiftung gefördert. Einer der Bürger besaß schließlich sogar die Unverschämtheit, Weimar auf den Skandal bezüglich der hessischen Steuerfahnder anzusprechen, die psychiatrisiert und in Frührente geschickt wurden, weil sie versucht haben, ihre Arbeit gewissenhaft zu erledigen. Zu der Zeit, als dies geschehen ist, war jener noch Hessischer Finanzminister. Auf die Frage, warum diese Männer immer noch nicht wieder im Dienst seien, reagierte Weimar unangemessen harsch und wies nur darauf hin, dass die ganze Angelegenheit nachzulesen sei. Das einzig gute an dieser Antwort war ihre Kürze, ein einziges mal kein sinnentleertes Geschwafel, um Zeit zu schinden. Die Reaktion des ehemaligen Finanzministers wirkte unqualifiziert und mitunter grotesk; wir stellten uns ob dieses obskuren Gebarens schließlich die Frage, inwiefern Weimar selbst an den bisher immer noch nicht völlig geklärten Ereignissen beteiligt war.
Das Fazit, was wir aus dem Besuch dieser Veranstaltung sicher ziehen können: Keiner ist bereit, Verantwortung zu übernehmen – weder im Bereich der Bildung noch in dem der Politik, nicht bei sozialen Fragen und schon ganz und gar nicht im wirtschaftlichen Bereich; für das Desaster der Finanzkrise fühlt sich keiner verantwortlich, weder Politik noch Wissenschaft. Die Konsequenzen dieser Verantwortungslosigkeit werden auf unseren Schultern, auf den Bürgern, abgeladen. Verantwortung ist aus unserer Sicht aber das Erste, dass jemand übernehmen muss, der grundsätzliche Entscheidungen für die Menschen eines Landes trifft. Bevor Politiker und Wissenschaftler diese Maxime nicht verstanden haben, sollten sie die wirklich wichtigen Entscheidungen doch lieber dem gesunden Menschenverstand der Bürger überlassen.
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Detlef Heckscher (Donnerstag, 17 Januar 2013 07:19)
... sehr guter Bericht - Danke Sabrina!