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Forderung 4

Aktive Mitwirkung am gesellschaftlichen Leben

"Die politische Öffentlichkeit des Sozialstaats ist durch zwei konkurrierende Tendenzen geprägt.

Als Zerfallsgestalt bürgerlicher Öffentlichkeit gibt sie einer, von Organisationen über die Köpfe des mediatisierten Publikums entfalteten, demonstrativen und manipulativen Publizität Raum. Andererseits hält der Sozialstaat, soweit er die Kontinuität mit dem liberalen Rechtsstaat wahrt, am Gebot einer politisch fungierenden Öffentlichkeit fest, demzufolge das von Organisationen mediatisierte Publikum, durch diese selbst hindurch, einen kritischen Prozeß öffentlicher Kommunikation in Gang setzen soll.

In der Verfassungswirklichkeit des Sozialstaates liegt diese Gestalt der kritischen Publizität mit jener zu manipulativen Zwecken bloß veranstalteten in Streit; das Maß, in dem sie sich durchsetzt, bezeichnet den Grad der Demokratisierung einer sozialstaatlich verfaßten Industriegesellschaft - nämlich Rationalisierung des Vollzugs staatlicher und politischer Gewalt."

- Jürgen Habermas -

 

"Wir haben eine einzigartige Methode ausprobiert, und das könnte vorbildlich für die ganze Welt sein, mehr in Öffentlichkeit und Partizipation zu vertrauen. Wenn das das Einzige wäre, was herauskommt, dann wäre das schön. Ich erwarte gar nicht mehr."

Katrin Oddsdottir über das isländische Verfassungsexperiment

 

Schild: Es ist niemals albern für die Grundrechte auf die Straße zu gehen und kriminell schon gar nicht!!!
Schild: Es ist niemals albern für die Grundrechte auf die Straße zu gehen und kriminell schon gar nicht!!!

In Forderung 4 drängen wir auf die Möglichkeit einer jederzeitigen Teilhabemöglichkeit aller Menschen innerhalb der Gesellschaft.

Eine partizipatorische Mitbestimmung gesellschaftlich relevanter Themen soll gemeinsame Interessen festlegen, Mitmenschen mobilisieren und rege Diskussionen initieren.

Wir wollen uns selbst organisieren und von den Eliten freimachen.

 

Wenn wir uns des Antagonismus, den wir in Forderung 3 beschrieben haben, bewusst geworden sind, wird uns das aktive Mitwirken an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen weiterhelfen, die Haben- Struktur unseres Umfeldes insgesamt zu minimiern.

unsere Bewegung setzt sich daher in allen Bereichen für die aktive Beteiligung aller Menschen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ein. Diese ist für uns eine unabdingbare Grundlage zum Aufbau einer emanzipatorischen und partizipatorischen Demokratie.

Ein jeder Mensch soll das eigene Leben eigenverantwortlich gestalten und unmittelbar an der Veränderung von gesellschaftlichen Verhältnissen mitwirken können.

Die direkte Teilhabe, die öffentliche Willensbildung und der Aufbau einer Zivilgesellschaft sind dabei zentrale Anliegen.

Hierbei steht die Ausdehnung des Demokratieprinzips auf alle öffentlichen und wirtschaftlichen Bereiche sowie der Privatsphäre im Mittelpunkt.

unsere Bewegung strebt eine Wiederbelebung gemeinschaftlicher Diskussionen  über alle relevanten gesellschaftlichen Themen, wie Familie, Erziehung und Schule, Medien, Kunst, Krankenhäuser, Wirtschaft, Rüstung, Finanzen und weitere zu definierende Teilbereiche des öffentlichen Lebens an.

 

Wir sind von der Machbarkeit der Selbstregierung durch die Menschen überzeugt.

 

Wir denken nicht, dass wir eine stellvertretende Regierung benötigen, die in unserem Namen handelt, wir empfinden dies als Umweg, der, wie zu beobachten ist, in einer Elitendemokratie enden muss.

Wir wollen uns durch Institutionen organisieren, die eine dauerhafte Beteiligung der Bürger an allen notwendigen gesellschaftlichen Fragen garantieren.

Wir wissen, dass die Mehrheit des einfachen Volkes tagein tagaus weniger Fehler machen wird, wenn sie sich selbst regiert als jene kleine Gruppe, die versucht, das Volk zu regieren.

Die direkte Bürgerbeteiligung wird öffentliche Streitfragen und Interessenkonflikte so handhaben, daß sie einem endlosen Prozess der Beratung, Entscheidung und des Handelns unterworfen werden.

Jeder Schritt des Prozesses vollzieht sich auf eine flexible Weise im Rahmen anhaltender Verfahren, die in konkret historische Bedingungen, soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten eingebettet sind.

Wir suchen nicht nach einem vorpolitischen, unabhängigen Grund oder einem veränderlichen rationalen Plan, vielmehr vertrauen wir der Partizipation in einer Gemeinschaft, die sich weiterentwickelt, Probleme löst und öffentliche Zwecke schafft, wo es zuvor keine gab.

All dies vermag die Gemeinschaft zu leisten, weil sie tätig ist und ihre eigene Existenz zum Brennpunkt des Verlangens nach wechselseitig anerkannten Lösungen wird.
Demokratische Werte wie Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit gewinnen eine reichere und gehaltvollere Bedeutung als ihnen jemals sonst im instrumentellen Rahmen liberaler Demokratie zukommen könnte.

Auf der internationalen Ebene wollen wir uns mit den Ländern austauschen, die bereits erste Erfahrungen mit der direkten Bürgerbeteiligung gemacht haben.

Wir verfolgen mit größter Aufmerksamkeit die partizipative Demokratie-Bewegung in Venezuela, die nach dem missglückten Putsch im April 2002, intensiviert wurde und immer weiter Raum greift.

Folgender Artikel berichtet in einer schönen Zusammenfassung über die Organisation der venezuelanischen Demokratie-Bewegung:

„Eine zentrale Rolle der Demokratie-Bewegung spielen die sogenannten Misiones, von denen es mittlerweilen über zwanzig gibt. Bei den Misiones handelt es sich um breitangelegte Programme, die unter Umgehung der herkömmlichen Staatsstrukturen und unter direkter Beteiligung der Bevölkerung eine Art partizipativen Service public etablieren.

Sie umfassen die Gesundheitsversorgung, die Bildung auf verschiedenen Niveaus, die Befähigung zu ökonomischer Eigeninitiative in Form von Kooperativen, den Strassen- und Häuserbau, die Wasser und Energieversorgung, die Arbeit mit Drogensüchtigen, die Unterstützung von alleinerziehenden Frauen, die Versorgung der Bevölkerung mit günstigen Lebensmitteln, den Aufbau einer Volksmiliz, die Förderung der ökologischen Landwirtschaft.

Die einzelnen Dienste wurden von Beginn an mit der Auflage verbunden, dass sich die begünstigte Bevölkerung aktiv in Komitees an der Aufbauarbeit beteiligen müsse. Dabei konnte in vielen Barrios an eine Tradition der Selbstorganisation angeknüpft werden, die teilweise bis in die 80er Jahre zurück reicht.

Rasch zeigte sich, dass die verschiedenen Misiones vor Ort koordiniert werden müssen. Seit März 2006 geschieht dies in den Consejos Comunales. Ein Consejo umfasst in städtischen Gebieten 200 bis 400 Familien, in ländlichen Gebieten 20 Familien. Für die Gründung eines Consejos ist es erforderlich, dass mindestens 20 Prozent der Bevölkerung an einer konstituierenden

Assamblea de Ciudadanos y Ciudadanas teilnehmen und das Territorium klar definiert werden kann. Stimmberechtigt sind alle GebietsbewohnerInnen ab 15 Jahren. Oberstes Organ eines CC ist die Vollversammlung der BewohnerInnen; sie nimmt die Wahlen in drei Gremien vor und fällt alle wichtigen Sachentscheide. Gewählt werden als ausführendes Organ ein Rat der SprecherInnen, dann die Unidad de Gestión Financiera (Finanzverwaltung) sowie die Controlaria Social, ein Kontrollausschuss, der vor allem über die korrekte Verwendung der Finanzmittel zu wachen hat. Die AmtsträgerInnen werden für zwei Jahre gewählt. Sie können wiedergewählt und jederzeit auch abgewählt werden. Der Consejo bestimmt über die Verwendung beträchtlicher Geldmittel, die aus einem nationalen Fonds stammen. Dieser Fonds wird von einer direkt Chávez unterstellten Kommission verwaltet, unter Umgehung der herkömmlichen staatlichen Strukturen (Kommunalverwaltungen, Bürgermeister). Die Mittel dieses Fonds stammen aus den Erlösen der Erdölförderung. Ihr Volumen ist offenbar nicht genau erfasst; es handelt sich aber um Milliardenbeträge in einer Höhe, bei der das Budget durch die Consejos vorderhand noch gar nicht ausgeschöpft wird (Holm/Bernt 2007). Laut Angaben des Ministeriums für Partizipation und Soziale Entwicklung (Minipades) gab es Ende 2007 rund 35’000 Consejos Comunales (Azzellini 2008). Damit dürften mindestens zwei Drittel der Bevölkerung in solchen Strukturen erfasst sein. Seit dem Sommer 2008 ist nun auch die Zusammenfassung der Consejos zu übergeordneten Strukturen (Comunas) gesetzlich geregelt.“ [1]

 

Ein weiteres Beispiel partizipatorischer Demokratie ist derzeit in Island zu beobachten.

Mittels Crowdsourcing wurden Islands Bürger durch ihre Regierung aufgefordert, eine neue Verfassung  zu entwerfen!

Noch nie hat es so ein Demokratie-Experiment zuvor gegeben.

Der Prozess, die Verfassung zu erneuern, begann am 27. November 2010 und ist noch nicht vollständig abgeschlossen.

Am 27.November 2010 wählten die Isländerinnen und Isländer ein Verfassungsparlament aus 25 Menschen.

Jeder konnte kandidieren, ausgenommen waren Mitglieder des Parlaments oder der Regierung.

520 Kandidaten traten an: Intellektuelle, linke Bürgerrechtler, aber auch konservative Geistliche und Bauernverbandsfunktionäre.

Thorvaldur Gylfason, der als Zeitungskolumnist einige Prominenz genoss, bekam die meisten Stimmen.

„Das ist der wohl demokratischste Verfassungsgebungsprozess der Weltgeschichte“ sagte Thorvaldur Gylfason ohne jede falsche Bescheidenheit. Auf Nachfrage fuhr er weiter aus:
"Das Parlament hatte zuvor eine nationale Versammlung einberufen und dazu 950 Leute aus allen Bereichen des Lebens, nach dem Zufallsprinzip aus dem Einwohnerregister ausgewählt, eingeladen. Jeder Isländer über 18 hatte die gleiche Chance auf einen Sitz in dieser Versammlung
."

Diese knapp tausend Isländer versammelten sich, um einen Tag lang die grundlegenden Prinzipien der neuen Verfassung zu bestimmen und die Basis festzulegen, auf der das Verfassungsparlament die neue Verfassung niederschreiben sollte.

Die so formulierte Verfassung musste danach (Oktober 2012) in einem Referendum von den Isländern bestätigt werden.

Das Ergebnis: zwei von drei Isländern sprachen sich dafür aus, dass die Verfassung rechtsgültig in Kraft treten solle.

Zwar muss das Verfassungswerk nun noch durch das Parlament beschlossen werden (erfolgt im Jahr 2013) und  kann daher in entscheidenen Fragen geändert werden, aber immerhin ist die Idee und der Ansatz dieses partizipativen Verfassungsgebenden Verfahrens nicht hoch genug zu loben. [2]

 

unsere Bewegung sieht in den Beispielen Venezuelas und Islands wichtige Ansätze einer demokratischeren Ausrichtung zukünftiger Gesellschaftsentwürfe und ruft jeden auf, sich an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen, wo und wann immer diese möglich sind, zu beteiligen und dafür zu kämpfen, dass unsere Teilhabe insgesamt ausgebaut wird.

Darüber hinaus plädieren wir für ein landesweites System von Nachbarschaftsversammlungen, die aus jeweils 500 bis max. 1.000 Bürgern bestehen.

Wir setzen uns weiterhin für nationale Kommunikationsgenossenschaften der Bürger ein, die die staatsbürgerlich förderliche Nutzung neuer Kommunikationstechnologien regelt und überwacht.
Zudem wollen wir weitere Erfahrungen bei elektronischen Abstimmungen und Bürgerbeteiligungen (Liquid Democracy) sammeln und auswerten. 
Wir sind für Besetzungen kommunaler Ämter in ausgewählten Bereichen durch Losentscheide und sind generell dafür, dass mehr öffentliche Fördermittel zur weiteren Demokratisierung der Arbeitswelt und aller anderen Lebensbereiche beschlossen und initiiert werden.

 

Alle Menschen sollen durch ihre aktive Beteiligung mit dazu beitragen können, aus unserer Erde eine humanere zu machen.

 

Wir fordern: Ein jeder soll zur aktiven Mitwirkung am gesellschaftlichen Leben motiviert werden und sich zu jeder Zeit im gesellschaftlichen Prozess einbringen können!

 

[1] Chavismo und partizipatorische Demokratie in Venezuela, Beitrag von Beat Ringger in www.Denknetz-online.ch

[2] Modell für mehr Bürgernähe in Europa? von Maximilian Steinbeis im Deutschlandfunk www.dradio.de

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